konstruktive referenzen
Wettbewerb 'memorial gugging'
In der österreichischen Gedächtnislandschaft finden sich unter den Denk- und
Mahnmalen für Opfer des Nationalsozialismus bislang wenige Erinnerungszeichen
für so genannte Randgruppen - ein Terminus, der sowohl auf die soziale Stigmatisierung
der Betroffenen wie deren Rang innerhalb der verschiedenen NS-Opfergruppen verweist
und zu denen u. a. eben auch die in der NS-Ideologie als 'lebensunwert' kategorisierten
PatientInnen psychiatrischer Krankenanstalten wie der 'Heil- und Pflegeanstalt'
und der 'Landes-Heil- und Beschäftigungsanstalt für schwachsinnige Kinder' in
Gugging zählen. Zeigt sich in der Errichtung eines Erinnerungszeichens im allgemeinen
die Intention seines Initiators, Menschen offiziell zu würdigen, ist also die
Funktion eines Denkmals, diese Menschen mit der Inschrift zu adressieren, das
heißt ihre Namen zu lesen zu geben und so Andenken zu ermöglichen, gilt dies
naturgemäß auch und im Besonderen für Opfer des Nationalsozialismus. Die anonyme
Opferbezeichnung aufzubrechen und die Namen der in der psychiatrischen Anstalt
Gugging umgekommenen oder von dort in Vernichtungsanstalten deportierten und
ermordeten Frauen, Männer und Kinder zu schreiben gibt den Opfern ihre Individualität
zurück und, eingeschrieben in den Ort des Verbrechens, konstituiert ihre namentliche
Präsenz einen Ort des Gedenkens und des Gedächtnisses, das als Speicher das
Memorial ist.
Mein in der Konzeptkunst verankerter und verschiedene Medien verknüpfender Arbeitsansatz
ist im Besonderen im Kontext Nationalsozialismus ein transdisziplinärer, der
Methoden der Wissenschaft für die Kunst produktiv macht und Strategien der Kunst
auf wissenschaftliche Forschung anwendet. Dementsprechend war für die Erarbeitung
eines Konzepts für ein 'Memorial', das den vergessenen Opfern der Anstalt Gugging
gewidmet sein soll, Recherche und Kontextualisierung der Opfernamen als Methode
Voraussetzung und Schrift als Medium für den Entwurf bestimmend.
Trotz der kurzen Zeit für Quellensuche und Erschließung war dank der guten Quellenlage
in den relevanten Archiven die Recherche der Opfernamen, die im gegenseitigen
Abgleich mehrerer Quellen verifiziert wurden, dennoch möglich. Für den Fall
einer Realisierung meines Entwurfs ist die Weiterführung der Auswertung der
Daten sowie ihre Übertragung und technische Verarbeitung organisiert.
Konzept und Entwurf
Ausgangspunkt und Fokus bei der Entwicklung von Konzept und Entwurf
war die Referenz auf die Topografie, im Besonderen die erhaltene Architektur
der psychiatrischen Anstalt Gugging, die das für ein 'Memorial' vorgesehene
Areal begrenzt. Ehemaliges Direktions- und Verwaltungsgebäude einerseits und
zentrales Klinikgebäude andererseits - beide authentisch als Ort bürokratischer
Organisation und medizinischer Exekution der von Sozialdarwinismus und Rassenhygiene
gekennzeichneten NS-Euthanasieprogramme - lassen in ihrem vielschichtigen Verweisungszusammenhang
ein Spannungsfeld abstecken, das durch die axialen Bezugslinien der beiden Gebäude
markiert wird. Während die zentrale Achse der konstruktiven und funktionalen
Ausrichtung des Gedenkobjekts dient und umgekehrt durch dessen Struktur akzentuiert
wird, definiert der Schnittpunkt der Diagonalen dessen Lage. (s. Lageplan) Der
so kartografierte Ort für ein 'Memorial' bedarf, um diese referentiellen Zusammenhänge
erkennbar zu machen, einer markanten Schneise im Wildwuchs der Bäume zwischen
Teich und ehemaligem Verwaltungsgebäude, die die Sichtachse auf das 'Memorial'
öffnet wie dessen architekturalen Kontext zeigt.
Der 'Memorial'-Entwurf ist eine transparente und so selbst kaum in Erscheinung
tretende Konstruktion aus Glas, die längsseitig an der zentralen Achse auf die
beiden Architekturen hin orientiert und vom Medium Schrift bestimmt ist, die
sich in schmaler , durchgehend weißer Typografie räumlich inszeniert. Dieses
gläserne Schriftobjekt, dessen Anmutung klinisch kühl, von ephemerer Leichtigkeit
ist und je nach Lichtverhältnissen in flüchtigen Reflexionen und Projektionen
changiert, besteht aus 2 in geringem Abstand (80 cm) parallel gestellten, mehrschichtigen,
transparenten Glasplatten in der Dimension von 2,7 x 8 m, die in einem unsichtbaren
Betonfundament verankert aus dem Erdboden zu wachsen scheinen. Mehr als die
Summe ihrer Teile bilden die beiden dominant weiß strukturierten Schrifttafeln
in ihrem Bezug aufeinander einen schmalen Korridor, der das 'Memorial' begehbar
macht. Die Erschließung erfolgt jeweils über eine Stufe, die in den 30 cm tiefgelegten
Gang hinunter- bzw. aus diesem wieder herausführt und die Durchquerung als räumlich
und zeitlich konnotierte Bewegung, als Untergang und Übergang strukturiert.
Die Metapher des Hinuntersteigens in die (Abgründe der) Vergangenheit, deren
auf die systematische Ermordung von geistig und psychisch Kranken in der Anstalt
Gugging bezogene Fakten ein Text vermittelt, findet hier nicht nur im übertragenen
Sinn Statt und Ort, im transitorischen Raum zwischen den Schrifttafeln kann
sich Verinnerlichung, Gedenken ereignen.
Während die Rezeption von außen zunächst von einem diffusen weiß strukturierten
Feld im parkähnlichen Umfeld gelenkt wird, das sich erst mit zunehmender Annäherung
als Namen, tausendfach zwischen den Glasschichten eingeschrieben, zu lesen gibt,
verweist im Inneren eine Widmung und ein Text auf die Opfer, deren nun spiegelverkehrte
Namen Zeugen gleich die Lektüre unterlegen und auf die Täter verweisen. Welches
Unbehagen dadurch evoziert wird, der enge Raum, wiewohl transparent, ist in
seiner Ausrichtung so konzipiert, dass sich in seinen Ausgängen ein von den
Kanten der Schrifttafeln gerahmter Ausschnitt der beiden authentischen Gebäude
der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt in den Blick schiebt, also stets im Bilde
sein lässt über den Ort, auf den der in die Wand eingeschlossene Text verweist.
Die unabschließbare Referenzstruktur der Schrift erweitert sich noch, wenn,
abhängig von den Lichtverhältnissen, das gläserne 'Memorial' zum optischen Apparat
und jeder Besucher zum integrativen Teil des Spiels der Schrift wird: als Schatten
wandern dann die Namen - stets im Kontrast zur weißen Schrift und je nach Sonnenstand
diffus oder scharf konturiert, länger oder kürzer verzerrt - über die räumliche
Distanz der Schrifttafeln hinweg und schreiben sich flüchtig in das Ambiente
des Memorials wie auf den Körpern der Passanten ein.
© maria theresia litschauer, April 2008