[ transkription ]
- Dekonstruktiv-konzeptuelle Überlegungen für das Wettbewerbs-Projekt Thury-Hof
- Anmerkungen zu einer der Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus verhafteten Bauplastik
in ihrem architektonischen Ambiente
Die Architektur des Thury-Hofs und die NS-Plastik in ihren jeweils ent-stehungsgeschichtlichen Kontexten
wie in ihrer Verschränkung können strukturell als Palimpsest gelesen werden.
1. Im zwischen 1919 und 1934 realisierten legendären Wohnbauprogramm des Roten Wien, das wohn- und
sozialpolitisch wie städtebaulich Meilensteine setzte - wenn auch nicht, wie eine revolutionäre
Agenda erwarten ließe, vorwiegend in einer Architektur der Moderne -, gehört der Mitte der 20erjahre
von den Behrens-Schülern Viktor Mittag und Karl Hauschka gestaltete Thury-Hof zu jenen Gemeindebauten,
die in ihrer romantisch-expressiven Formensprache an einem 'wehrhaften Heimatstil' (s. Dehio) orientiert sind.
Dass aus dessen nationalromantischen Stilelementen bald nationalsozialistische Architektur ihren
Formenkanon kompilieren sollte, sei hier nur angedeutet. Neben der skizzierten architekturhistorischen
Einordnung interessiert für den Wettbewerb das Gebäude vor-rangig als signifikanter Baukörper, der
sozialistischen Aufbruch symbolisiert wie er einst proletarisches Selbstbewusstsein identifizierte; anders
gesagt, in Bezug auf die NS-Plastik ist der dem baulichen Ensemble eingeschrie-bene ideologische
Entstehungskontext relevant.
2. Eine lebensgroße Terrakotta-Figur von Alfred Crepaz, die einen sein Schwert präsentierenden Recken zeigt,
den ein in Frakturschrift in Stein gemeißeltes Zitat mit (abgeschlagener) Hitler-Signatur als Sockel trägt,
wurde wahrscheinlich 1939 dem Thury-Hof prominent an der Straßenfassade aufgepflanzt. Über Anlass und
Auftraggeber kann mangels einer voll-ständig recherchierten Entstehungsgeschichte nur spekuliert werden,
dass sie nach außen sichtbares Zeichen eines im Arkadenbereich des Gemeindebaus eingerichteten Parteilokals
der NSDAP gewesen sein könnte, ließe das der Architektur eingeschriebene Bild-Text-Ensemble pathetischen
Ger-manentums als völkisches Vorzeichen und -bild lesen, unter dem die sozialistische Arbeiterschaft zur
nationalsozialistischen Volksgemeinschaft transformiert werden sollte.
Im ansatzweise recherchierten Werkkontext des Holzbildhauers und Keramikers Crepaz 1904-1999), der im
wesentlichen bis in die 1980erjahre Sakralplastiken für Kirchenausstattungen geschaffen hat, nimmt die
Figur eine Sonderstellung ein. Im Vergleich zu seinen zum Teil monumentalen, traditionsgebundenen
Heiligenfiguren kann deren überhöht im Kirchenraum inszenierte Wirkung zwar auch für den nationalsozialistischen
Säulenheiligen am Gemeindebau geltend gemacht werden - nicht zufällig gewählt scheint als Sockel ein Zitat
Hitlers, das in der Rhetorik einer Gottesanrufung Standhaftigkeit und Pflichterfüllung zum Prinzip macht -,
in Bildsprache und Gestaltung steht die Figur an der Fassade des Thury-Hofs aber im Kontext der Plastik im
Deutschen Reich (s. Davidson) |
und verkörpert idealtypisch dessen völkischen Wertekanon, dem zur Norm erhobene formale Kriterien
wie statuarische, streng symmetrische Körperdarstellung, starre gezirkelte Haltung, frontale
Grätschstellung, unbeugsame Kopfhal-tung, kantige Gesichtszüge, der Blick starr in die Weite gerichtet,
akzentuierte Muskelformen, geglättete Oberfläche, etc. korrespondieren. Erste Recherchen ergaben, dass in der
Konzeption der Figur eine direkte Bezugnahme auf Thorak, neben Breker einer der beiden 'Bildhauer des Führers',
nicht nur offensichtlich ist, vielmehr dürfte es sich um eine ins Völkische und Volksnahe gewendet Nachahmung
einer seiner an der Antike orientierten, monumentalen Aktdarstellungen handeln. (s. 'Bekrönung des Märzfelds
auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg', 1938) So wenig über Auftragsvergabe bzw. Bewerbung wie
biografische Verflechtungen des Künstlers bekannt ist - es liegen nur Mutmaßungen vor (s. Ausführungen Fischer/MA
8) - kompromittierend ist die nicht nur entstehungsgeschichtlich sondern auch ikonografisch und formal eindeutig
als NS-Kunstwerk zu identifizierende Figur für den Künstler allemal.
3. Appliziert und aufgepfropft der sozialistischen Aufbau repräsentierenden Architektur, vermittelt das Bild und Text
verbindende ästhetische Programm der Bauplastik die Ideologie, der sie sich verdankt und die sie propagiert. Das
nordisch-germanische Sinnbild erscheint im vielgestaltigen nationalromantischen Formenvokabular des Gemeindebaus
aus Arkaden, Erkern, Rundbogenloggien, Spitzgiebeln, Schmiedeeisengittern, etc. nicht nur in den Baukörper
eingeschrieben, in seiner volksnahen Anmutung schiebt es sich in die ästhetischen Wahrnehmungsgewohnheiten,
die, nachdem in einem opportunistischen Reflex 1945 die Signatur 'Adolf Hitler' vom Sockel abgeschlagen war,
nahtlos in den notorischen Verdrängungsstrategien im Österreich der Nachkriegszeit aufgingen. Dem nicht genug,
kann sich durch symmetrisch montierte Fahnenstangen das Relikt des Nationalsozialismus an jedem Staatsfeiertag
seit 1945 von den Hoheitszeichen der Republik flankiert in Szene setzen. Unentscheidbar, ob die gedankenlose
Wiederholung seit 63 Jahren oder deren Ignoranz mehr irritiert! Es besteht Klärungsbedarf hinsichtlich des
Straftatbestands nach dem Verbotsgesetz!
4. Zum Ruf nach einer "künstlerischen, kritischen Auseinandersetzung" mit einem Objekt nationalsozialistischer
Provenienz ist anzumerken, dass ausgehend von rechtsstaatlicher Verfassung und politischem Grundkonsens nicht
Kritik und Auseinandersetzung "mit einem historisch belasteten figuralen Relief" state of the art sein können,
sondern dessen Problematisierung als verdrängtem und verweigertem Erbe des Nationalsozialismus. In diesem Sinne
ist das Referenzfeld der Entstehung der künstlerisch wenig interessanten, dem NS-Kitsch zuzuzählenden Bauplastik
für den konzeptuellen Ansatz bestimmend und eine weiterführende, genaue Recherche Voraussetzung.
Projektiert ist eine räumliche Intervention und Installation, die das NS-Objekt zwar unverändert, aber nicht weiter
unkommentiert lässt, ohne dem ideologisch mehrfach aufgeladenen Ensemble aus Architektur und Skulptur ein weiteres
Bedeutung tragendes Element hinzuzufügen. Ein Aspekt in den medialen und gestalterischen Überlegungen zu dieser
Arbeit konzeptueller Kunst war, einen Rezeptionszugang mitzudenken, der auch einem mit zeitgenössischer Kunst nicht
vertrauten Publikum offen steht. |
Konzept und Entwurf
Unter dem Titel Transkription, die im Zeichen der eckigen Klammern geschrieben wird, wurde ein Konzept entwickelt,
das, im Medium Schrift realisiert, darauf abzielt, das problematisierte NS-Kunstwerk kenntlich zu machen und durch
Kontextualisierung Aufklärung über seine politisch-ideologischen und ästhetischen Implikationen zu geben.
Der Entwurf umfasst drei Komponenten einer Intervention und Installation - Zeichen, Band, Schrifttafel -, in der
sich das Element der eckigen Klammer wiederholt und die in ihrer reduzierten Formen- und Materialsprache wie
Farbgebung klar gegen die Ästhetiken von Skulptur und Architektur gesetzt ist. Dem vielfach ideologisch-ästhetisch
aufgeladenen Ambiente, in dem ein in einem Baukörper sozialistischer Identität steckendes nationalsozialistisches
Implantat irritiert, soll keine weitere Bedeutungsebene eingeschrieben werden, die drei Elemente strukturieren
lediglich eine Raumfigur wechselseitigen Verweisens, die sich in jeder Rezeption wiederholt und ereignet.
1. [ ] Markierung
Das Referenzfeld der NS-Skulptur wird mit Transkription kennzeichnenden eckigen Klammern [ ] markiert und dadurch
sichtbar gemacht. Als genuine Schriftzeichen selbst bedeutungslos ermöglicht das Schreiben der Klammern, zwischen
nationalsozialistischer Skulptur und sozialistischem Gemeindebau eine Differenz zu eröffnen, einen Raum aufzuspreizen,
in dem das NS-Objekt, quasi in die Zange genommen, vom architektonischen Feld separiert erscheint. Durch diese
grafische Intervention, die sich simultan als Erfassung und Distanzierung vollzieht, wird das NS-Erbe freigestellt,
so sehr es der architektonischen Textur verhaftet bleibt. Im Zeichen der Transkriptionsklammern wird so ein
differentieller Verweisungsprozess in Gang gesetzt, der sich in jeder Rezeption wiederholt und die Bedingung der
Möglichkeit von Erkenntnis schafft.
2. __| Band und 3. Tafel
Ein Betonband nimmt die Mittelachse des giebelständigen Bautrakts, an der signifikant Gebäudenamen und NS-Skulptur
ausgerichtet sind, in der Breite des Arkadenpfeilers auf und erstreckt sich 3 m über den Vorplatz des Gebäudes auf
eine Schrifttafel aus Glas zu. Diese Glastafel trägt siebgedruckt den Text, der eine prägnante Dokumentation der
zeithistorischen Fakten zu lesen gibt.
Voraussetzung für den Text sind weiterführende Recherchen, die die NS-
Skulptur kontextualisieren lassen, und zwar in Bezug auf ihre Entstehung, biografische Verflechtungen ihres Autors
wie ihre verspätete Annahme und Aufarbeitung als Erbe des Nationalsozialismus.
Die Erschließung der Rauminstallation
wird von der Straße aus durch die an der Fassade sichtbare Markierung gelenkt: am über Stiegen erreichbaren Vorplatz
des Gemeindebaus weist das helle Betonband auf die Schrifttafel an dessen Ende, in deren Transparenz der Text der
Dokumentation seine Kehrseite zeigt und den Weg der RezipientInnen bestimmt. Vom straßenseitigen Geländer aus und in
der Sichtachse der NS-Plastik findet die aufgeschobene Lektüre im Blickwechsel zwischen Text und Referenzfeld statt und Ort.
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