Archivale Spuren
zu Nicht-Orten
Die Lebensbedingungen der Juden in Niedertal
Ansiedlung als Wirtschaftsinitiative der
Herrschaftsinhabung von Waidhofen an der Thaya
~1617-1671
Konzeptkünstlerisches Forschungsprojekt
und kommentierte Quellensammlung
 
Künstlerbuch 2022, 33x48cm, 125 Seiten, Auflage 100, € 198
order: artistbooks@silverserver.at

Das Künstlerbuch ist Ergebnis und Werkform eines weiteren konzeptkünstlerischen Forschungsprojekts mit Fokus auf eine historische Fragestellung, für die transdisziplinär Methoden der Forschung und Strategien der Kunst zu offener Spurensuche bzw. originalhandschriftlicher und typografischer Visualisierung verbunden mit fotografischer Raumvermessung produktiv gemacht und, Text und Bild verknüpfend, in doppelseitigen Verweisungszusammenhängen inszeniert wurden.

1617 erstmals datiert, wurde die von Justina von Mollart, nach dem Tod ihres Mannes Inhaberin der Herrschaft Waidhofen an der Thaya, initiierte Ansiedlung von Juden in der Vorstadt Niedertal und deren Entwicklung zu einer in Grundstrukturen errichteten Gemeinde über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren, weitgehend unter den Bedingungen und Folgen des 30-jährigen Krieges sowie als Untertanen der ab 1623 von der Familie von Sprinzenstein ausgeübten Herrschaft zu rekonstruieren versucht.
Spuren ihrer einer nutzenstrategischen Judenpolitik habsburgischer Landesfürsten, die zur finanziellen Bedarfssicherung, zumal in Kriegszeiten, laufend auf Ausweisung als taktisches Mittel der Erpressung setzten, unterworfenen Angehörigen zu folgen, wo immer sie bei lückenhafter Quellenlage herrschaftlicher, kommunaler und kirchlicher Provenienz hinführen, eröffnen kaleidoskopisch kippende, aber aufschlussreiche Einblicke in die kleinräumig lebensweltlichen Bedingungen der unterhalb von Burg und Meierhof angesiedelten jüdischen Minderheit im von antijüdischen Vorurteilen geprägten Milieu der christlichen Mehrheitsgesellschaft, vornehmlich lutherischen Bekenntnisses und unter dem Druck der restaurativen Politik der Gegenreformation.

Der Versuch, in von Archiv- und Ortsrecherchen wechselseitig motivierter Spurensuche bruchstückhaft die Lebensrealität der Juden bis 1671 nachzuzeichnen, musste bei gegebener Quellenlage und mangels manifester Zeugnisse im vorstädtischen Ambiente an Grenzen stoßen. Topografische Erkenntnisse auf den Langzeitspuren grundbücherlicher Systematik ließen die Lage mancher Häuser in jüdischem Besitz einschließlich des als Schul für alle gemeinschaftlichen Funktionen sowie als Wohnsitz von wechselnden Schulmeistern genutzten Gebäudes in der Raumstruktur heutiger Bebauung des Abhangs zwischen Schloss und Flussniederung annähernd identifizieren bzw. imaginieren. An der Verortung des jüdischen Friedhofs im anschließenden Gelände, dessen Erhaltung – bei der Emigration 1671 dem letzten Repräsentanten der Herrschaftsfamilie Sprinzenstein anvertraut sowie 1694 von Vertretern der jüdischen Gemeinden Prag | Praha und Neuhaus | Jindrichuv Hradec in Absprache mit dem 1679 nachgefolgten Herrschaftsinhaber Lamberg durch Begleichung seither offener Pacht erneuert – darüber hinaus nicht belegt ist, sollte trotz in Grundbüchern bis 1880 fortgeschriebener Referenzen die Ambition scheitern: sich unablässig letzter Gewissheit entziehend scheint der verfehlte Ort auf Dauer im Nicht-Ort aufgehoben.
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